Wo ist der Haken? Es gibt keinen! Qualifizierungsoffensive Südwestfalen

von Janne Hernandez Aragon

Startschuss! Ab heute startet die groß angelegte „Qualifizierungsoffensive Südwestfalen – Wo ist der Haken? Es gibt keinen!“.

Erstmalig ist und wird eine gemeinsame Strategie aller Arbeitsagenturen in Südwestfalen (Iserlohn, Meschede-Soest, Siegen) konzipiert, deren Ziel es ist, über die Bedeutung von Transformationsprozessen und deren Folgen in der heimischen Region Betroffenheit zu erzeugen und starke Qualifizierungsanreize zu setzen. Die gestartete Offensive ist ebenfalls Baustein der landesweiten Thementage „Qualifizierung in der Transformation“, die vom 11. bis zum 29. September 2023 stattfinden:

https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/rd-nrw/ihreberuflichezukunft

Zum Hintergrund

Was bedeuten Transformationsprozesse konkret in der heimischen Region und warum sind Qualifizierungen so wichtig?

Wie Transformationsprozesse den heimischen Arbeitsmarkt verändern

Transformationsprozesse oder auch transformative Prozesse genannt, sind in den letzten Jahren in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Grundsätzlich bedeuten sie für die Gesellschaft markante Veränderungen, die in einem langfristigen Prozess vollzogen werden und anhaltende Wirkungen zeigen. In diesem Zusammenhang wird auch oft über Megatrends gesprochen. Für den Arbeitsmarkt werden daraus zumeist vier große Bereiche beleuchtet: der Strukturwandel, der demografische Wandel, die Digitalisierung und die Klimatransformation. Alle Faktoren beeinflussen sich allerdings auch untereinander.

Um den Arbeitsmarkt bewerten zu können, sind die Erkenntnisse über die Transformationsprozesse von besonderer Bedeutung, denn die Entwicklungen sind heute bereits bekannt und absehbar. Sie verhelfen, Tendenzen rechtzeitig zu erkennen, um frühzeitig die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt einschätzen und darauf reagieren zu können. 2

Strukturwandel – Dienstleistungsbereiche wachsen

Der Strukturwandel bezieht sich auf die Veränderungen der Wirtschaftssektoren (sektoraler Strukturwandel), lässt sich in allen Industrieländern seit Jahrhunderten belegen und beinhaltet, dass zunächst die Landwirtschaft, danach die Industrie und später der Dienstleistungssektor dominiert.

Am einfachsten darstellen lässt sich der Strukturwandel über den Anteil von Beschäftigten in Dienstleistungsbereichen an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Dieser sogenannte Tertiärisierungsgrad zeigt an, wieweit der Strukturwandel vorangeschritten ist.

Innerhalb von NRW weist Südwestfalen mit 56,5 Prozent den niedrigsten Tertiärisierungsgrad auf (Juni 2022). Die Spannweite reicht bis zu 80,5 Prozent (im Rheinland). Der Landesdurchschnitt liegt bei 74,1 Prozent. Grund dafür ist das verarbeitende Gewerbe, das in ganz Südwestfalen stark ausgeprägt ist. Für die heimische Region bedeutet es, dass der Strukturwandel noch lange nicht abgeschlossen ist. Die Dienstleistungsbereiche werden voraussichtlich künftig stetig wachsen, während das produzierende Gewerbe hinter der allgemeinen Entwicklung zurückbleiben könnte. In den vorgegangenen fünf Jahren beispielsweise ist in Südwestfalen der Beschäftigungsanstieg im produzierenden Gewerbe mit einem Plus 0,4 Prozent nicht so stark ausgefallen wie in der allgemeinen Beschäftigungsentwicklung (+4,6%). Im gleichen Zeitraum ist der Dienstleistungssektor überdurchschnittlich stark gestiegen (+7,9%) und konnte damit Verluste ausgleichen. Unter diesem Aspekt gewinnen Dienstleistungen weiter an Bedeutung.

Demografischer Wandel - Arbeitskräftepotenzial sinkt

Auch wenn über die Integration von ukrainischen Flüchtlingen kurzfristig keine Bevölkerungsrückgänge zu verzeichnen sind, langfristig bleibt in der Region der Schwachpunkt demografischer Wandel nebst Bevölkerungsrückgängen erhalten, und das mindestens bis zum Ende dieses Jahrzehnts.

Die Folgen sind vielfältig und manifestieren sich u.a.

  • im hohen Anteil älterer Arbeitsloser: im Juli 2023 waren in NRW 22,4 Prozent der Arbeitslosen 55 Jahre und älter, in Südwestfalen waren es 26,0 Prozent.
  • in der Vielzahl älterer Beschäftigter und den sich daraus ergebenden verstärkten Fachkräfte-Engpässen. Ab Ende 2021 werden innerhalb von 10 Jahren über 138.000 Arbeitskräfte in Südwestfalen das 65. Lebensjahr vollendet haben. Das sind rund 24 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Region.
  • über den Ausbildungsmarkt durch weniger Bewerberinnen und Bewerber. In den vergangenen fünf Jahre sind diese in ganz Südwestfalen um 27 Prozent zurückgegangen (Juli 2023).

Erklärtes Ziel ist es, das Erwerbspersonen-Potenzial zu sichern und auszubauen, um so den Fachkräfte-Engpässen entgegenzuwirken. Lt. IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) kann sich der Aufbau via Zuwanderung oder bestimmter 3

Personengruppen wie die der Frauen als besonders sinnvoll erweisen. Ein weiterer Ansatz ergibt sich über erhöhte Arbeitszeiten, z.B. von geringfügig auf Teilzeit, von Teilzeit auf Vollzeit oder auch über das Renteneintrittsalter hinaus. Ein grundlegender Faktor aber ist bei allen arbeitsmarktpolitischen Überlegungen, das bestehende Arbeitskräfte-Angebotes optimal zu nutzen. Und da werden Qualifizierungen von entscheidender Bedeutung sein, um künftig Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen und besser aufeinander abstimmen zu können.

Klimatransformation – lässt Beschäftigung im primären Sektor Land- und Forstwirtschaft ansteigen

In diesem Feld summieren sich zwei große Bereiche: zum einen die Bewegungen, die unmittelbar durch den eigentlichen Klimawandel verursacht werden und zum anderen die Veränderungen, die beim Umbau in eine weitestgehend klimaneutrale Gesellschaft entstehen und darüber Produkte und Dienstleistungen erfordern, die die Klima-transformation unterstützen.

Die Spuren des Klimawandels sind erkennbar durch die Veränderungen im primären Sektor. Nach wissenschaftlicher Sektorentheorie (siehe Strukturwandel), die den Strukturwandel in seiner heutigen Form begründet, müsste die Land- und Forstwirtschaft dauerhaft auf niedrigem Niveau verharren. Hitze, Trockenheit und Borkenkäfer haben aber beispielsweise in der Region dazu geführt, dass umfangreiche Waldarbeiten erforderlich wurden. Die Beschäftigung im primären Sektor ist in Südwestfalen untypisch gestiegen (von Juni 2017 bis Juni 2023 um +9,1%) – ein direkter Hinweis auf den Einfluss des Klimawandels. Darüber hinaus werden für klimaneutrale Anwendungen Produkte und Dienstleistungen benötigt, wie z.B. Wärmepumpen, energieeffizientere Maschinen und Anlagen etc... Diese dürften vorwiegend im produzierenden Gewerbe zu finden sein, was ein besonderes Augenmerk auf diese Branchen lenkt und künftig zur Stabilisierung des sekundären Sektors beitragen könnte.

Digitalisierung und Automatisierung – beeinflussen Branchen und Anforderungsniveau

Tätigkeiten durch neue digitale Technologien zu ersetzen, ist nur eingeschränkt möglich und sinnvoll. In Fertigungs- und Fertigungstechnischen Berufen sind diese sogenannten Substituierbarkeitspotenziale mit bis zu 85 Prozent sehr hoch. Aufgrund des starken verarbeitenden Gewerbes in der Region, sind sehr viele Arbeitskräfte davon betroffen. In vielen Dienstleistungsberufen hingegen wie den Gesundheitsberufen, können Automatisierungen gar nicht oder nur in geringem Maße eingesetzt werden. Dort werden für die Region nach wie vor viele Arbeitskräfte benötigt. Strukturwandel und Digitalisierung aggravieren somit beide gleichzeitig die Fachkräfte-Situation bei den Dienstleistungsberufen und beeinflussen die Entwicklungen im verarbeitenden Gewerbe. Dort, wo in hohem Maße automatisiert werden kann, bleibt die Beschäftigungsentwicklung hinter den allgemeinen Entwicklungen zurück. Am Beispiel der Berufshauptgruppe Metallbau, Metallbearbeitung bedeutet das für Südwestfalen ein Minus von 7,6 Prozent innerhalb der letzten fünf Jahre. Das sind rund 5.200 Arbeitskräfte weniger! Im gleichen Zeitraum konnte die Beschäftigung insgesamt um 4,6 Prozent steigen.

Spuren der Digitalisierung sind auch bei den Anforderungsniveaus zu erkennen: mehr arbeitslose Arbeitskräften auf Helferniveau, zunehmende Automatisierungen auch bei 4

Fachkräften und, ob der gesteigerten Anforderungen durch den digitalen Wandel, auch ein größerer Bedarf an Spezialisten und Experten sind die Folgen.

Warum Qualifizierungen so wichtig sind

Über die transformativen Prozesse ist gut erkennbar, in welche Richtung der Arbeitsmarkt mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen tendiert. Nun gilt es, dem zu begegnen und dabei die richtigen Weichen zu stellen.

Grundsätzlich geht es darum, das Arbeitskräftepotenzial zu erhöhen. Natürlich werden dabei auch arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Zuwanderung, Integration, Erhöhung und Verlängerung der Arbeitszeiten angedacht. Aber der schönste Weg führt über Qualifizierungen. Sie orientieren sich am Bedarf, reduzieren Arbeitslosigkeit und können darüber hinaus durch geringere Arbeitslosenquoten und mehr Beschäftigung auch den regionalen Arbeitsmarkt stärken. Was gibt es besseres als das vorhandene Potenzial zu nutzen!

Qualifizierungen sind somit ein wesentlicher Bestandteil, um den regionalen Arbeitsmarkt von innen heraus formieren und angleichen zu können. Die bestehenden Lücken zwischen Angebot und Nachfrage sprechen eine eindeutige wie drängende Sprache und rufen auch in Südwestfalen nach Qualifizierungen.

Qualifizierungen können Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt angleichen

Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt lassen sich über die Arbeitslosigkeit und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung abbilden. Betrachtet man diese nach Anforderungsniveau, ist schnell zu sehen, dass die Verhältnisse nicht übereinstimmen und Handlungsbedarf besteht. Generell lässt sich erkennen, dass anteilig auf Helferniveau viel mehr Arbeitslose als Beschäftigung vorhanden ist. Bei allen anderen ausgebildeten bis zu hoch qualifizierten Fachkräften kehrt sich das Verhältnis um. Die Beschäftigung benötigt mehr davon als anteilig über die Arbeitslosigkeit zur Verfügung gestellt werden kann.

In der Beschäftigung stellen Helferinnen und Helfer einen Anteil von 18,2 Prozent. Unter den Arbeitslosen sind es mit 54,2 Prozent rund drei Mal so viel. Bei den Fachkräften ist es umgekehrt: sie bestreiten in der Beschäftigung einen beachtlichen Anteil von 59,8 Prozent, in der Arbeitslosigkeit aber mit 28,5 Prozent weniger als die Hälfte davon.

Hier können Qualifizierungen helfen, um die Missverhältnisse auszugleichen. Weil Fachkräfte, Spezialisten und Experten auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind, ist jede Qualifizierung ein Schritt in einen ausgewogeneren Arbeitsmarkt. 5

Qualifizierungen können den durch Renteneintritten entstehenden Personalbedarf abmildern

Von den über 138.000 zu erwartenden Renteneintritten sind über 80 Prozent Fachkräfte, Spezialisten und Experten. Auch der dadurch entstehende Personalbedarf will gedeckt sein. Qualifizierungen eignen sich gut, um zumindest einen Teil des Bedarfes abzufedern. Das funktioniert um so besser, um so vorausschauender gedacht wird. Die starken Babyboomer-Jahrgänge kommen erst noch. Wer morgen eine Rentenlücke schließen will, muss heute schon qualifizieren.

Qualifizierungen sichern Arbeitsplätze und verhindern Arbeitslosigkeit

Dass möglichst viel qualifiziert werden sollte, machen auch die Arbeitslosenzahlen nach Qualifikationsniveau anschaulich und greifbar. Außerordentlich stark betroffen sind Arbeitslose ohne Berufsausbildung. Die Gefahr arbeitslos zu werden, ist bei Arbeitskräften ohne abgeschlossene Berufsausbildung eklatant höher als bei solchen mit abgeschlossener Berufsausbildung. Für die Kreise Südwestfalens bedeutet das, dass die Arbeitslosenquoten von Personen ohne Berufsausbildung sechs bis acht Mal höher sind als die von ausgebildeten Fachkräften. Da zudem auf dem Arbeitsmarkt gut ausgebildete Arbeitskräfte gesucht werden, sind Qualifizierungen eine willkommene Lösung, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Die Qualifizierungsangebote der Arbeitsagenturen eröffnen vielfältige Angebote. Maßnahmen werden großzügig und bis zu 100 Prozent gefördert. Sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch die Unternehmen selbst können davon profitieren. Also: Wo ist der Haken? Es gibt keinen!

Jede Qualifizierung zählt!

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